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Writer's pictureRobert Schmuki

Organizational Slack

Vor drei Wochen trafen wir uns im alten Elektrizitätswerk Selnau in Zürich und diskutierten angeregt, wieso NPO ihre Ziele nicht erreichen. Der Workshop im Rahmen der Beisheim Collab hiess «Widerstände, Risiken und Scheitern», die Teilnehmenden kamen aus ganz unterschiedlichen NPO. Und doch brachten sie die Hauptschwierigkeit, mit ihrer Organisation weiter zu wachsen und damit mehr Wirkung zu erreichen, auf den gleichen Punkt: Neben dem Tagesgeschäft bleibt viel zu wenig Zeit, um sich vertieft mit der Entwicklung der eigenen Organisation zu beschäftigen.


Ok, das kann sich nach der ältesten Ausrede für Scheitern anhören, die es gibt: «Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, dann wäre es toll geworden...» Doch damit, es als billige Entschuldigung abzutun, greift man zu kurz. Spätestens seit dem Artikel von Ann Goggins Gregory & Don Howard zum Nonprofit Starvation Cycle (2009) wissen wir, dass das Problem viel tiefer geht. Es ist die Folge eines Finanzierungsmodells, das über die Angebots- und Projektarbeit alles querfinanzieren soll und einer Diskussion über Overhead, die an der Realität eines gut geführten NPO-Betriebs vorbei geht. Die meisten NPO, mit denen wir zusammenarbeiten, wissen sehr genau, welche Bereiche ihrer Organisation sie entwickeln sollten. Doch «dringend» schlägt «wichtig» bei der Arbeitsplanung.


Wie entsteht eine NPO?

Der Kern des grossen Bedarfs an Organisationsentwicklung im 3. Sektor liegt im Gründungsmechanismus von NPO. Sie werden nicht als vollständige Betriebe gestartet, sondern im Wesentlichen als Umsetzungsteam einer Projektidee. In kleinem Rahmen wird ein neuer Lösungsansatz für eine gesellschaftliche Problemstellung sinnvollerweise erst einmal getestet. Alle sind im Projekt engagiert, und wenn sie Glück (oder aus Organisationssicht Pech) haben, wird ihr neuer Arbeitsansatz, ihr Projekt, ein grosser Erfolg. Jetzt erst beginnt die eigentliche Arbeit, denn strukturell besteht noch nichts anderes als eine Projektorganisation. Kommunikation, HR, Mittelbeschaffung, Finanzadministration, Fundraising, Datenerfassung - nichts ist vorhanden, alles muss erst jetzt aufgebaut werden – doch von wem und mit welchen Stellenprozenten?


Mehr als nur Projektstrukturen sind nötig

Vor zwei Jahren haben wir am CEPS ein Entwicklungsmodell von NPO erarbeitet, das aus unserer Sicht viel besser zeigt, wie sich eine NPO entwickelt als die Modelle, die man aus der Wirtschaft kennt. Denn Wirtschaftsunternehmen beginnen ganz anders. Dort geht es um einen möglichst grossen Markteintritt; kein:e Investor:in würde Kapital für eine halbfertige Organisation geben - denn wie soll eine solche Organisation einen Markt erobern und Renditen abwerfen?


Angelehnt an das Wachstummodell von Greiner (1998) haben wir ein NPO-Stufenmodell der Organisationsentwicklung gezeichnet. Es beginnt bei der Pilotphase eines Projekts und sollte mit einem gut strukturierten, funktionierenden Betrieb enden, der wirkungsorientiert seine gesellschaftlichen Ziele zu erreichen sucht – ein langer Weg ohne Investor:innen, die dies mit Hoffnung auf Renditen finanzieren. Denn gesellschaftliche Renditen zählen in diesem Spiel kaum.



Entwicklungsmodell von NPO, CEPS (2019) / eigene Darstellung



«Wir haben doch keine Krise!»

Wir nutzen dieses Modell in viele Entwicklungsprozessen bei NPO, weil es bedeutend ist, erst festzustellen, wo man in der Entwicklung steht. NPO sind immer wieder schockiert, dass wir den Begriff «Krise» verwenden. Wir stehen zu diesem Begriff, denn an diesen Übergängen sind NPO gezwungen, grundsätzliches zu ändern und oft auch, sich von Mitarbeitenden zu trennen, die in der vorausgehenden Phase noch vollkommen passend waren. Dies schmerzt und ist auf vielen Ebenen eine Revolution, die nicht so nebenbei gemacht werden kann. Ein ganzes System muss mitgenommen werden, inklusive Freiwillige, Spender:innen und weitere wichtige Stakeholder.


Etwas Organisations-«Fett» ist nötig

Hier kommt nun das ins Spiel, was die Theorie «Organizational Slack» nennt: Jene zusätzlichen Stellenprozente im System, die es ermöglichen, diese wichtigen Schritte zu planen und anzugehen. NPO, die gerade mal die nötigen Stellenprozente haben, um den täglichen Betrieb aufrechtzuerhalten, schaffen genau dies nicht. Es braucht etwas «Übergewicht», etwas Overhead, freie Ressourcen. Die entscheidende Frage ist, wo bzw. wie eine NPO diese entscheidenden Ressourcen kriegen kann, um den nächsten Entwicklungsschritt zu schaffen - mit nur einer Rendite für einen «Mittelgebenden»: mehr und langfristig gesicherte gesellschaftliche Wirkung.

Grossartig, dass eine grösser werdende Gruppe von Förderstiftungen erkannt hat, dass dies genau die Rendite ist, die sie wollen und deshalb begonnen haben, NPO diese Zusatz-Ressourcen zur Verfügung zu stellen - aus meiner Sicht die wichtigste Entwicklung in der Fördertätigkeit der letzten 20 Jahre.

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