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Writer's pictureRegula Wolf

Noise – oder wie Stiftungen bessere Entscheidungen fällen können



Eine Studie aus dem Jahr 2011 stellte fest, dass hungrige Richter:innen strengere Urteile fällen als satte. Ist es zudem drückend heiss, fällt das Urteil noch strenger aus. Hunger und Hitze gehören zu den Einflussfaktoren, welche eine gute Entscheidungsfindung stören können.


Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat diese zufälligen Störungen wissenschaftlich untersucht. Dabei interessierte er sich einerseits für die mittlerweile viel diskutierten Urteilsstörungen, welche von Voreingenommenheit verursacht werden (bias). Andererseits untersuchte er willkürliche Verzerrungen – von ihm als „noise“ bezeichnet - wie Hunger, Laune, Gruppendynamiken (wer redet als erster, wer als letzter?), Aussehen, Gesten, Stimme, Drang nach Konsens (um die Besprechung nicht unnötig in die Länge zu ziehen und keinen sozialen Kredit zu verspielen). Dabei zeigte sich, dass derartige Störungen alles andere als vernachlässigbar sind und u.a. bei Versicherungen zu Ertragsausfällen in Millionenhöhe führen.


Die Resultate seiner Untersuchungen sind nicht nur für Richter:innen, Ärtz:innen und Unternehmer:innen interessant. Auch für Stiftungen ist es wichtig, sich dieser Fehlerquellen bewusst zu sein. Die nachstehenden Empfehlungen zur Verhinderung von „Störungen“ sind von Kahnemanns wissenschaftlichen Befunden abgeleitet und auf Stiftungen gemünzt.


1. Entscheidungen herunterbrechen in Unterurteile

Bei komplexen Entscheidungen, z.B. bei der Besprechung einer substanziellen strategischen Förderpartnerschaft, empfiehlt es sich, die Entscheidung herunterzubrechen in Unterurteile.

Das können sein: Beitrag an Erreichung der Stiftungsziele, Stabilität der Organisation, Bedarfsorientierung, Kooperation & Vernetzung mit zentralen Akteuren. Jedes Stiftungsratsmitglied fällt nun pro Kategorie ein Unterurteil – und zwar einzeln, nicht in der Gruppe! Anschliessend tauscht sich das Gremium auf dieser Grundlage aus. Hier ist der richtige Moment für das gute alte Bauchgefühl, die Intuition, die bei Entscheidungen nach wie vor nicht ausser Acht gelassen werden darf – sie darf einfach nicht von Beginn weg die Diskussion in die eine oder andere Richtung treiben.


2. Störungen ansprechen

Menschen sind keine Maschinen. Störungen wie Vorurteile, Interessenkonflikte, Schweigen von Andersdenkenden, Mangel an Sauerstoff, fehlende sachliche Grundlagen, Konzentration auf einen vernachlässigbaren Faktor rsp. Vernachlässigung eines zentralen Faktors, etc. gehören zum Alltag. Werden während einer Besprechung Störungen festgestellt, sollten diese angesprochen werden. Bei gewichtigen Entscheidungen lohnt es sich, eine:n internen oder gar externe:n „Entscheidungs-Beobachter:in“ zu benennen. Diese Person beobachtet die Diskussion und meldet sich, sollte er oder sie Störungen erkennen.


3. Evidenzbasierte Wissensgrundlagen

Verfügen alle Mitglieder des Stiftungsräts über dieselben sachlichen oder statistischen Informationen, so gelingt ihnen auch ein besseres Urteil. Wichtig ist, dass die Wissensgrundlagen keine Meinungen vorgeben, sondern pur sachlich informieren.


4. Vermeidung von Interessenkonflikten

Da sich Stiftungen selbst kontrollieren (sie haben keine Mitglieder oder Gesellschafter), besteht eine erhöhte Gefahr von Interessenkonflikten. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, den Umgang mit Interessenkonflikten zu diskutieren und schriftlich zu regeln.


5. Besetzung der Stiftungsräte mit Expert:innen

Hört sich banal an, ist aber zentral. Wer über Fachwissen und Erfahrungen verfügt, ist sicherer im Urteil. Sind Personen im Stiftungsrat, die wenig Fachkenntnisse haben, haben sie oft auch keine klare Meinung. Solche Personen neigen dazu, der Mehrheit zu folgen. Das wiederum gibt jenen, die z.B. als erste reden und über ein gesundes Selbstvertrauen verfügen, überproportional viel Macht. Liegen diese jedoch falsch, kann es sein, dass das ganze Gremium diesen Personen mit bestem Wissen und Gewissen folgt und so in corpore in die falsche Richtung geht.


Die Empfehlungen lehnen sich an folgende Publikation an, der auch die erwähnte Studie entnommen ist: Daniel Kahneman, Olivier Sibony, Cass R. Sunstein (2021): Noise. A Flaw in Human Judgment. Littler, Brown Spark.

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